Wir sind das Volk?

Damals ’89 standen so Leute vor Partei- oder Stasizentralen herum und riefen: „Wir sind das Volk!“ Sie riefen es in einem System, das eine Volksdemokratie sein wollte, das für alle den Himmel auf Erden schaffen wollte oder doch wenigstens den Kommunismus. Die da riefen forderten die Einhaltung der Ideale.

Wenn da heute Leute unter diesem Slogan demonstrieren, kann man sie nur fragen: Na und. Die gegenwärtigen politischen Verhältnisse halten, was sie versprechen.

Rassistische Traditionen im Osten

Rassisten und Anti-Semiten waren Teil einer sozialen Realität, die ich als Bestandteil der dunklen Seite der DDR bezeichnen möchte und sie bildeten die Kerne einer ansonsten amorph strukturierten reaktionären Masse, die den sozialen und politischen Verhältnissen kritisch gegenüberstand. […]
Durch die vorgelegten historischen Beweise eines speziellen und wirkungsmächtigen Rassismus in der DDR wird klar, dass die gegenwärtige Situation wesentlich auch der Tatsache einer rassistischen Kontinuität geschuldet ist. Es braucht also den historischen Blick und die historische Analyse um zu verstehen, vor welchen Gefahren wir jetzt stehen. Erst mit dem wissenschaftlichen Verständnis für die Komplexität des Geschehens, lässt sich begreifen, wie diese nationalistischen Explosionen der Gewalt seit mehr als zwei Jahrzehnten angelegt sind und wie es möglich wurde, dass weder der deutsche Staat noch seine Gesellschaft in der Lage sind, die rassistische Dynamik einzudämmen. aus: Leseprobe „Der gescheiterte Antifaschismus in der DDR“

Der Historiker Harry Waibel durchforstet die Stasiakten und fand heraus, dass rassistische Progrome Tradition haben im Osten. Seit dem Aufkommen der Vertragsarbeiter in den 1970ern bis zum Ende der DDR gab es 200 progromartige Zwischenfälle mit mindestens 10 Toten:

Und die Leute, die damals die Kubaner und Algerier gejagt haben, waren keine besorgten Bürger, die Angst vor Überfremdung oder Angst um ihren Arbeitsplatz hatten.

Connectedness

Da, wo ich gerade unterwegs bin, bilden sich ständig „Gruppen“ und vergehen, ohne dass die beteiligten Leute zu Feinden werden.
Zum einen kommt mir das alte „ORGANIZE!“ in den Sinn:

organize

Aber diese Organisierten haben nur noch ein Ziel im Sinn – den Feind. Wird die Utopie auf Übermorgen verschoben, bleibt nur Kampf.
Zum anderen  ein Text von Katharina Ceming „Von Weltenbürgern, Gotteskindern und Buddhakeimlingen“ aus dem Sammelband Connectedness, in dem es heißt:

Die Betonung einer gemeinsamen und verbindenden Größe, die das menschliche Dasein wesenhaft bestimmt und letztlich lebenswerter macht, […] beginnt sich in unserer Zeit langsam dort gesellschaftlich zu etablieren, wo die Rahmenbedingungen stimmen. Solange Menschen ums nackte Überleben kämpfen müssen oder unter einem despotischen Regime leben, was in beiden Fällen die Entfaltung der menschlichen Entwicklung nicht nur verhindert, sondern aktiv unterdrückt, ist eine gesamtgesellschaftliche Weiterentwicklung, die von der universellen Verbundenheit aller ausgeht und den Anforderungen einer globalen Welt gerecht wird, kaum zu erwarten.
[…] Die neue Form der Verbundenheit, welche die Welt heute benötigt, erwächst aus der Akzeptanz einer Individualität, die sich mit anderen auf einer tieferen und umfassenderen Ebene wesenhaft verbunden weiß. Diese Einsicht wird heute zunehmend von vielen einzelnen Menschen und einer Vielzahl von kleineren Gruppierungen getragen, die sich nicht mehr, wie wir es aus der Geschichte der Religionen kennen, zu großen Organisationen verbinden, sondern an den verschiedenen Orten ihre Vision zu verwirklichen beginnen. Die Zukunft der Spiritualität scheint eine transkonfessionelle zu sein. Sie hat die keimhaft im Menschen angelegte Fähigkeit, nicht nur das eigene Ich im Blick zu haben, sondern im Gegenüber einen Teil dieses eigenen Seins wiederzuerkennen und zu schätzen, ohne sich in dogmatischen Problemen zu verlieren, zum Gegenstand der Bemühung. Wagen wir es, nicht nur weise, wie Kant es forderte, sondern auch wahrhaft universelle Liebende zu sein.

Vielleicht ist es genau dieser Prozess in dem ich, in dem wir gerade stecken: die Suche nach dem neuen Wir – jenseits der Einsamkeit von Individualismus und der Umklammerung von Kollektivismus.
Na ja, aber selbst diese Suche ist schon was älter, wie Nazim Hikmets Waderhit „Leben einzeln und frei“ beweist.

Manfred Lütz – Bluff!

Man gab mir Bluff! zu lesen. Ich habe mich beim Lesen ein wenig gelangweilt. Dieter Wunderlich hat den Inhalt zusammengefasst.

Ein bunter Reigen kollernder Kritik an allerlei Gebäuden von Wirklichkeiten zweiter Ordnung, wie Watzlawick sie nennen würde. Was mich dann geärgert hat, war die besondere Rolle, die Lütz dann dem Glauben an Gott einräumte. Er schwingt auf 130 Seiten die konstruktivistische Keule, um dann im Finale bei Gott eine Ausnahme zu machen.

Da bleibe ich doch lieber bei Sprüchen aus Watzlawicks „Die erfundene Wirklichkeit„:

Die Einsicht, dass wir nichts wissen, solange wir wissen, dass wir nichts endgültig wissen, ist die Voraussetzung des Respekts für die von anderen Menschen erfundenen Wirklichkeiten.

oder

Der Konstruktivismus erschafft oder erklärt keine Wirklichkeit da draussen, sondern enthüllt, dass es kein Innen und Außen gibt, keine Welt der dem Subjekt gegenüberstehenden Objekte. Er zeigt, dass die Subjekt-Objekt-Trennung, auf deren Annahmen sich die vielen Wirklichkeiten aufbauen, nicht besteht; dass die Spaltung der Welt in Gegensatzpaare vom erlebenden Subjekt konstruiert wird; und dass die Paradoxien den Ausweg zur Autonomie öffnen.