Im freitag 19/2016 wird ein Buch über Bürokratie von David Graeber besprochen. Über Gewalt sagt Graeber:
Gewalt ist eine einzigartige menschliche Handlung. Man kann damit auf eine andere Person einwirken, ohne dass man das Geringste über sie zu wissen braucht. Zum Beispiel, wenn man sagt: „Wenn du diese Linie überquerst, dann erschieße ich dich!“ In jeder anderen Situation, in der man auf das Verhalten anderer einwirken will, muss man diese anderen zuerst verstehen. Wenn ich aber Waffen habe, und du hast keine, brauche ich über die Situation gar nicht nachzudenken. Überall herrscht strukturelle Gewalt vor, die immer mit struktureller Ungleichheit einhergeht. Wenn man eine andere Person verstehen will, muss man sich bis zu einem gewissen Grad mit ihr identifizieren – das ist auch eine Art, diese andere Person wichtig zu nehmen. Wenn ich aber eine Waffe habe und der andere nicht, muss sich der Bedrohte die ganze Zeit in mich hineinversetzen. So kommt es, dass alle mich dann sehr wichtig nehmen – ohne dass ich sie wichtig nehmen müsste.
Diese Assymetrie hat Folgen:
[…] Es geht im Wesentlichen darum, dass Menschen in einer schwächeren Position, also Machtlose, einen tieferen Einblick in andere haben. Um mit den Mächtigeren überhaupt kommunizieren zu können, müssen sie sich ständig in sie hineinversetzen. Ich wollte das von der anderen Seite her verstehen: Mächtige Menschen müssen sich nicht in andere hineinversetzen und werden dabei also dümmer. In jedweder Situation von systemischer Ungleichheit ist das so.
Gartsig ausgedrückt: Empathie als Überlebensstrategie der Unterdrückten. Diese Sichtweise ist sehr erhellend. Aus aktuellem Anlass hilft sie mir verstehen, was passiert, wenn eine Stadtverwaltung in „ihrer“ Stadt etwas verändert.