EM & GfK

Leute, die eher zufällig über die gewaltfreie Kommunikation stolpern, begegnen häufig folgender Story, wo Rosenberg mit Vergewaltigern spricht: „Sie hatten sicher ein Ziel, als Sie das getan haben. Lassen Sie uns doch überlegen, ob es nicht einen Weg gibt, dieses Ziel zu erreichen, der weniger Schwierigkeiten verursacht.“

In Erwartung DES Endspiels möchte ich den Elementen der begeisterten Volksmassen zurufen: „Sie haben sicher ein Ziel, wenn Sie das tun, was Sie am Sonntagabend tun. Lassen Sie uns doch überlegen, ob es nicht einen Weg gibt, dieses Ziel zu erreichen, der weniger schwarz-rot-golden ist.“

Das Schweigen der Kommunisten

Beim Theaterfestival „Theater der Welt“ gab es „Das Schweigen der Kommunisten“ – so ein Briefwechsel von italienischen Altkommunisten. Ganz nett. Aber ich dachte so bei mir: ‚Na ja – was die da so grübeln, auf dem Stand warst du eigentlich vor 10, wenn nicht gar schon vor 15 Jahren.‘ Dann fiel mir ein, dass der Briefwechsel genau aus dieser Wendezeit stammte.

Und auf meinen Schmierzetteln steht der Satz:

Die Politik ist nicht mehr der Ort, an dem Entscheidungen getroffen werden.

Einwurf von ganz links

B12 lud zur bösgarstigen Veranstaltung: „Der deutsche Sonderweg im Fußball und die Intimisierung der Nation

Während der aktuellen Fußball-Europameisterschaft der Männer mühen sich die Landsleute einmal mehr um gute Laune aus nationaler Verpflichtung. Alles soll wieder werden wie 2006, als mit teutonischem Furor deutsche Lockerheit inszeniert wurde. Deutschland geil zu finden, erscheint inzwischen als der ultimative Ausdruck postnazistischen Nationalbewusstseins – irrer Einstand von kulturindustriellem Thrill und gemeinem Wohl, der auf Obszöneres geht als
kaltes Vergessen. In einem Atemzug wird der Ausgang eines Elfmeterschießens mit dem Leben nach Auschwitz abgehandelt: »Trotz unserer Vergangenheit«, so die stereotype Leier, könne man, dank 23 mäßig begabter Kicker, »endlich wieder« »stolz auf Deutschland« sein. So
verwandelt sich jede schwarz-rot-goldene Lappen wedelnde Fanfestmasse zwanghaft in einen kollektiven Gesamtwalser. Wehe also den ewigen Miesmachern und »Bedenkenträgern« (Kicker), die uns den Spaß verderben wollen.
Grund also, sich jenem deutschen Sonderweg im Fußball näher zu widmen, welcher von den völkischen Reinheitsvorstellungen des Deutschen Fußballbunds bis zu Sönke Wortmanns Traum von einem rot-grünen »Wunder von Bern« führt. Gehen soll es dabei u.a. darum.

  • wie im ständigen Gerede über jene »deutschen Tugenden« namens Fleiß, Kampfgeist und Siegeswillen, das nationale Selbstgespräch aktualisiert und auf ewig fortgeführt werden kann;
  • wie dieser verdruckste Stolz auf die eigene Unzulänglichkeit dem Ressentiment gegen Geist und Geld, gegen »brotlose Künstler« und »satte Millionäre« eine neue Heimstatt zu geben vermochte;
  • wie im inzwischen hochsexualisierten Fanspektakel – an dem ja nunmehr, wie überall stolz verkündet wurde, beide Geschlechter teilhaben – sich der Beitrag des Fußballs zum postfaschistischen Erfolgsgeheimnis vollendet: die Intimisierung der Volksgemeinschaft;
  • und inwiefern das Spiel selber seiner deutschen Inszenierung zwar einerseits entgegenkommt, andererseits aber doch um so vieles schöner sein könnte, wenn die Landsleute nicht ständig alles kaputt machen würden.

Fanmeile

Also die Meile müsste ja eigentlich Kilometer heißen, aber da müsste die Französische Revolution gut geheißen werden.

Und der Fan hängt irgendwie mit Fanatiker zusammen. Dem aus Klemperers LTI:

Wenn einer lange für heldisch und tugendhaft: fanatisch sagt, glaubt er schließlich wirklich, ein Fanatiker sei ein tugendhafter Held, und ohne Fanatismus könne man kein Held sein. Die Worte „fanatisch“ und „Fanatismus“ sind nicht vom „Dritten Reich“ erfunden, es hat sie nur in ihrem Wert verändert und hat sie an einem Tage häufiger gebraucht als andere Zeiten in Jahren.

Kann ja sein, dass der heutige Fan aus dem Englischen stammt. In Deutschland hat das Wort einen goebbelschen Nachgeschmack.

Fusionella

Neuigkeiten vom Fusion-Festival:

Auf der diesjährigen Fusion wird das Stehpinkeln keine Genderfrage mehr sein und die Freudsche Theorie vom Penisneid ad absurdum geführt. Mittels eines praktischen und zugleich stylischen Accessoires, passend für jede noch so kleine Tasche, bietet das Fusion Festival jetzt auch allen Frauen die Möglichkeit, sich mal fix am Urinal einzureihen oder die eigens geschaffenen Damenurinale zu nutzen.

Plagwitz

Ein Wochenende in Plagwitz, der Stadtteil gärt, die Gentrifizierung ist in vollem Gange. Eine Runde am Samstagmorgen über die Zschochersche Straße: Die üblichen Ruinen, sanierte Altbauten, gammelige A&V-Läden, ärmliche Asialäden neben Luxusküchenausstattern und Weingeschäften mit Prosecco-to-go. Mehrere Wächterhäuser, dann freistehende Ökostadtvillen. Aus den Fensterhöhlen der unsanierten Altbauten schallt das Gezänk der sozialen Randgruppen, Kinder brüllen, der Fernseher läuft. Die Obdachlosen gönnen sich ihr erstes Bier. Die gestylten Jogger sind Richtung Clara-Zetkin-Park unterwegs. Die alternativ gekleideten Mütter mit den langen Achselhaaren schieben die neue Psychoklasse der helfend Aufgezogenen durch die Morgensonne. Und ich im Mütterzentrum Plagwitz, staunend die Pinnwand studierend: allerlei Yoga, Trommeln und Krabbeln – hört sich irgendwie menschlicher an als die Ernährungs- und Hygieneunterweisungen damals vorm Krieg…