Menschliche Kommunikation ist ein Kunstgriff, dessen Absicht es ist, uns die brutale Sinnlosigkeit eines zum Tode verurteilten Lebens vergessen zu lassen. Von ‚Natur‘ aus ist der Mensch ein einsames Tier, denn er weiß, dass er sterben wird und dass es in der Stunde des Todes keine wie immer geartete Gemeinschaft gibt: Jeder muss für sich allein sterben. Und potentiell ist jede Stunde die Stunde des Todes. Selbstredend kann man mit so einem Wissen um die grundlegende Einsamkeit und Sinnlosigkeit nicht leben. Die menschliche Kommunikation webt einen Schleier der kodifizierten Welt, einen Schleier aus Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Religion um uns und webt ihn immer dichter, damit wir unsere eigene Einsamkeit und unseren Tod, und auch den Tod derer, die wir lieben, vergessen. Kurz, der Mensch kommuniziert mit anderen, ist ein ‚politisches Tier‘, nicht weil er ein geselliges Tier ist, sondern weil er ein einsames Tier ist, welches unfähig ist, in Einsamkeit zu leben.
Vilém Flusser, „Kommunikologie“, 1998