2 x Theodor Geiger

2009 bezieht sich das FAZ-Feuilleton auf Theodor Geiger:

Als der Soziologe Theodor Geiger 1932 in seinem Porträt der deutschen Gesellschaft das Lebensgefühl der Krisenzeit in die Formel „Panik im Mittelstand“ zusammenfasste, hat er die Wetterwolken einer Verheißungserwartung, die längst aufgezogen waren, scharfsinnig gedeutet. Von vergleichbaren Stimmungslagen ist heute nirgends etwas zu sehen, die bedrohten „kleinen Materialismen“ (Geiger) der Schichten und Milieus vereinen sich nicht zu populistischer Sündenbocksuche, und die Eliten halten, wenn auch murrend, den Versuchungen des Rette-sich-wer-kann stand. Keine Panik wäre demnach die alles in allem beruhigende Diagnose: Lakonie ist die Weisheit der Stunde.

6 Jahre später gibt es Pegida und der Soziologe Heinz Bude schreibt in der ZEIT:

… Interessant ist vor allem die dritte Gruppe, immerhin 13 Prozent der deutschen Bevölkerung: Diese Menschen empfinden sich als weltoffen, sind meist gut gebildet und besetzen sichere Positionen, haben aber das Gefühl, unter ihren Möglichkeiten geblieben zu sein. Man trifft sie überdurchschnittlich häufig in Ostdeutschland. Und das sind die Pegida-Leute.
ZEIT: Wie fühlen sich diese Menschen?
Bude: Die haben einen latenten Hass im Hals. Sie denken: Eigentlich habe ich nie richtig zeigen können, was in mir steckt — aufgrund von Bedingungen, die ich nicht kontrollieren konnte. Und wenn die hören, dass wir auf qualifizierte Einwanderer angewiesen sind, dass wir eine Willkommenskultur entwickeln müssen, dann finden die: Jetzt muss aber mal Schluss sein. Ich hab doch auch nichts geschenkt gekriegt! Diese Menschen leiden unter einem fast existenziellen Neid.
ZEIT: Geht es auch bei Pegida um Angst?
Bude: Eher um Verbitterung. Sie leiden unter der »Angst vor Mindereinschätzung«, wie das der Soziologe Theodor Geiger schon 1930 in seinem legendären Aufsatz Panik im Mittelstand genannt hat. Es geht diesen Leuten nicht schlecht, die haben zum Teil Weltreisen gemacht, aber eben auch Degradierungen durch Umsetzungen im Betrieb oder eine Pleite in der Selbstständigkeit erlebt. Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt in dem, was sie leisten können. Das ist die andere Seite der ungeheuren Stärke des deutschen Produktionsregimes. Es produziert auch ein Milieu von Abgeschlagenen und Zurückgesetzten.
Quelle: DIE ZEIT, 22. Januar 2015

Und was bedeutet es, wenn die Ängste dieser Leute jetzt ernst genommen werden. Eine gerechte, solidarische Gesellschaft und die ganzen anderen gutmenschlichen Utopien? Das ist ganz schön aufwendig. Da ist eine Endlösung für die Migranten echt einfacher hinzukriegen.

Entwarnung

David L. Katz, so ein Mainstreamwissenschaftler wettert im Mainstreamzeitmagazin herrlich entspannt gegen Ernährungsextremismus a lá McDonalds oder Vegan for fun. Es lebe Mesotes und die spießige Mitte:

Esst Gemüse, esst Obst, esst Vollkornprodukte, esst keine Fertigessen, und übertreibt’s nicht mit Zucker, Fleisch und Milchprodukten. Das war’s. So einfach ist es. Und morgen wird es immer noch wahr sein! Und nächste Woche auch. Würden wir uns auf diese einfache Erkenntnis einigen, müssten die Verlage sagen: Wir veröffentlichen von jetzt an kein einziges Buch mehr zum Thema Ernährung, nie wieder, denn ihr wisst schon alles. Wir haben euch schon alles gesagt. Wir sind durch. Lest das Buch, das wir letztes Jahr rausgebracht haben, da steht schon alles drin. So etwas will natürlich kein Verlag. Die Medien haben an einfachen Ratschlägen kein Interesse. Die Anbieter von Abnehmprogrammen haben an einfachen Ratschlägen kein Interesse. Es verdienen viele Leute Geld damit, dass wir verwirrt sind. Dann gibt es noch ein anderes Problem, und das sind wir selbst. Ganz ehrlich: Wir sind Idioten. Ich wäre gern diplomatischer, aber wir sind wirklich Vollidioten. Fragen Sie sich selbst: Glauben Sie wirklich, Magie kann Ihnen helfen, schlank und gesund zu werden? Jeder weiß, dass es nicht stimmt. Dieselben vernünftigen Erwachsenen, die niemals auf einen Hütchenspieler hereinfallen würden, glauben daran, dass es einen einfachen Trick gibt, schlank und gesund zu werden. Sie glauben es natürlich nicht wirklich. Aber sie wollen es gern glauben. Wir müssen erwachsen werden. Wir müssen aufhören zu glauben, dass das, was wir für wahr halten wollen, auch wahr ist. Jeder Erwachsene weiß: Zu erreichen, was sich lohnt, dauert eine Weile und ist ein bisschen anstrengend. Ich habe also die großen Buchverlage zum Gegner, die Lebensmittelindustrie, die Zeitschriftenverlage und ein Volk von Trotteln. Deshalb: Ja, manchmal denke ich daran, aufzugeben. Aber wenn ich aufgebe, dann haben die anderen gewonnen, und das will ich auch nicht.

Konflikt im Auge des Betrachters

Juliane Eisentraut und Harald Weishaupt verwenden in ihrem Konfliktseminar eine Modifikation der klassischen Glasldefinition:

  • Ein Konflikt ist eine Interaktion,
  • in der mindestens eine Person Unvereinbarkeiten mit einem Gegenüber so erlebt,
  • dass sie im Handeln beeinträchtigt ist.
  • Unvereinbarkeiten können im Denken, Vorstellen, Wahrnehmen, Fühlen und/oder Wollen bestehen.
  • Mit „Gegenüber“ wird eine Person, Organisation oder ein größeres soziales Konstrukt beschrieben.

Eine Person erlebt Unvereinbarkeiten mit einem Gegenüber so, dass sie im Handeln beeinträchtigt ist. Und da gibt es eine immense Spanne. Sokrates nimmt den Schierlingsbecher, Jesus lässt sich ans Kreuz schlagen. Für andere ist das Fahren auf der Autobahn eine ununterbrochene Beeinträchtigung ihres Handelns führt zu Wutanfällen und Selbstjustiz. Konflikt als persönliches Erleben.