Schulischer Imperialismus

Inzwischen ist die Schule nicht nur zuständig für ihre eigenen traditionellen Felder, sondern bietet zudem allerlei prophylaktische Lebenshilfen an wie etwa Verkehrserziehung, Ernährungskunde, Kochunterricht, Medienpädagogik, Kommunikationstechniken, Umweltschutz inklusive Entsorgungsfragen, Meditations- und Selbsterfahrungstraining, Verbraucherberatung, Integrationskurse, Erste Hilfe, Bastelei, Tourismusprojekte, Projekte je nach Vorliebe des Schulkollegiums. Die Schule saugt auf diese Weise alle Aktivitäten auf, die früher außerhalb von ihr, nämlich in Familie, Vereinen und unter Freunden, initiiert wurden. So trocknet der Raum zwischen Individuum und Staat aus. In diesem Zwischenraum war aber von jeher der Widerstand gegen totalitäre Vereinnahmung lokalisiert, weshalb alle Diktatoren diese intermediären Widerstandsnester aus dem Weg zu räumen versuchten, um ihr Feld so zu planieren, dass es von der konturlosen Masse und deren Bewegungen besetzt werden konnte. In diesem Vorhaben unterschied sich Robespierre nicht von Hitler und Stalin.

Von wem stammt der Text: Norbert Blüm, CDU

Nationalstolz & Antifaschismus

Es ist schon schwierig Nation toll zu finden und Faschisten schlecht. Freerk Huisken bringt es auf den Punkt:

Verfassungsschutz, Bundeszentrale für politische Bildung, viele der Volksparteien, aber auch Gewerkschaften und einige Antifa-Bündnisse stellen bei ihrem Kampf gegen Neonazis deren Kleidung vor, decodieren Zahlencodes und benennen rechtsextreme Musiklabels. Es wird enttarnt, was sie offen zeigen, wenn sie sich präsentieren.

Diese Art der „Auseinandersetzung“ lebt von der Vorstellung, Jugendliche würden sich abwenden, wenn sie nur erkennen könnten, wie Neonazis sich kleiden und welche Mucke sie hören. Weit gefehlt, denn diese sind vor allem enttäuschte Nationalisten, die die Verschwendung nationaler Ressourcen durch undeutsche Unternehmenspolitik anprangern, am globalen Kapitalismus gerade nicht den weltweiten Siegeszug eines Ausbeutungssystems kritisieren, sondern beklagen, dass sich gute deutsche Unternehmen in internationale Konzerne verwandeln.

Damit kommen gute Demokraten in Schwierigkeiten, entdecken sie doch bei der unerwünschten Konkurrenz Einvernehmen mit dem eigenen höchsten politischen Ziel: Dem Erfolg der Nation, um Deutschland ökonomisch und politisch voran zu bringen. Und so verkommen Verbotsdebatten, Enttarnungen und Steckbriefe sowie die Warnung, dass der Schoss noch fruchtbar sei, zu einer Ehrenrettung von Nationalbewusstsein – zum Segen des demokratisch regierten Kapitalismus. Daran sollte man sich wirklich nicht beteiligen.

Wenn es denn so einfach wäre

Galaxo, die Kindernachrichten meiner Mitteldeutschen Zeitung erklärt:

Rechtsextreme glauben, dass nicht jeder gleich viel wert ist. Sie mögen zum Beispiel keine  Ausländer, weil sie eine andere Hautfarbe, Sprache und Kultur oder Religion haben. So eine
Haltung ist gegen das Gesetz. Niemand darf zum Beispiel für seine Religion verachtet
werden. So steht es im deutschen Grundgesetz, dem wichtigsten Gesetz unseres Landes. Rechtsextreme werden auch Neonazis genannt.

Die Aufkleber, die ich in meiner Schule letztens abgepellt habe, sprechen eine andere Sprache:

Multikultur zerstört den Menschen, weil sie ihn in seiner Identität, seiner Geborgenheit, seiner Gemeinschaft und seiner Heimat beraubt.

Oder:

BRD = Volkstod

Für moderne Rechtsextreme sind die Menschen durchaus alle gleich viel wert, sie sollen nur alle in einem jeweils eigenen sortenreinen Volksgehege wohnen.

Möglicherweise tue ich einer Kinderzeitung unrecht, aber wenn ich die Auseinandersetzung um den NSU beobachte, dann scheint auch unter Erwachsenen die Logik zu gelten: Rechte, das sind die Anderen, vom Himmel gefallene Aliens, ganz wie früher das „Hitler war’s.“ Aber dass der Keim des Pogroms schon dort gesät wird, wo Identität auf Volk und Nationalität angewiesen ist, spielt nur selten eine Rolle.

Woher… …Wohin

Fiorenza Menni hat mit philosophischer Unterstützung von Eva Maria Gauß und Rainer Totzke ein Stück zur europäischen Identität entwickelt. Auf meinen Schmierzettel aus dem anschließendem Publikumsgespräch stehen folgende Fetzen:

  • Ist das Streben nach Freiheit, die Möglichkeit, in Freiheit zu leben, ein Teil meiner Identität? Ja. Aber ist damit eine Wertigkeit verbunden?
  • Fiorenza Menni mit der sprühenden Begeisterung einer Künstlerin: „Ich denke viel über Identität nach. Ich kann tun was ich will – das ist für mich Freiheit.“ Ich beobachte versonnen ihre lebendigen Augen, den Tonfall ihrer italienischen Worte, die Pause beim Übersetzen. Und doch, in mir kommt Groll auf. Ich denke an meine Kellner- oder Verkäuferlehrlinge, die nichts mit Autonomie oder Selbstbestimmung anfangen können, denen nichts einfällt, wie sie sich diese Bedürfnisse befriedigen, weil Freiheit für sie gar kein Thema ist. Ist das Gedöns von der Freiheit nur ein arrogantes Getöse intellektueller Eliten, die damit ähnliche Interessen haben wie der heilige freie Unternehmer.
  • Das Raunen von der Authentizität ist eine Erfindung der Romantiker des 18. Jahrhunderts.
  • Ein junger Mann, der kraft seines Aussehens in jeder reinrassigen Gesellschaft als Nichtdazugehörender, als zu Integrierender durchgeht, gibt zu bedenken: Je weiter wir in der europäischen Geschichte zurückgehen, desto globaler erscheinen die Wurzeln dieses Etwas, das Europa genannt wird.

Insgesamt bleibt mir folgender Gedankengang: „Wir“ steigen auf von persönlicher zu kultureller oder europäischer Identität. Kulturelle oder europäische Identität erweisen sich als höchst problematische Konstruktionen. Ist es dann vielleicht mit der persönlichen Identität genauso. Persönliche Identität nicht als absolut scharf Abzugrenzendes. Sondern eben nur das dialektische Für-Sich-Sein des Einzelnen im Bezug auf die Vielen.

Ethik – kurz und knapp

Kay Sokolowsky in „Massenware Mythologie“ konkret 03/2012:

Das ethische Reglement des Kapitalismus ist (entsprechend) schizophren. Einerseits darf die Herrschenden am Plündern und Ausnutzen niemand hindern als eine Konkurrenz, die das Verwüsten und Betrügen effektiver bewerkstelligt.
Andererseits wird den Beherrschten das Plündern, Verwüsten, Ausnutzen und Betrügen in sämtlichen Variationen untersagt, weil so was unmoralisch sei – es könnte ja einem Herrschenden schaden.

Für den zweiten Teil werde ich als frischgebackener Ethiklehrer ins Rennen geschickt.

Anno 2070 und die Aufklärung

Mein Büchlein „Böse Philosophen“ über die materialistischen Aufklärer um Diderot amüsiert sich über die nicht enden wollende Zukunftsangst oder -hysterie:

Wenn wir in die Zukunft blicken, dann fürchten wir nach wie vor die Apokalypse, erwarten wir instinktiv immer noch das Ende der Geschichte im Paradies oder in ewiger Verdammnis. Neben der Erlösungsvision eines perfekten Marktes, einer vollkommenen sozialistischen Gesellschaft, einer Sciencefiction-Zukunft ohne Kriege oder Energieprobleme droht das Angstszenario eines überhitzten Planeten, das Schreckensbild eines nuklearen dritten Weltkriegs, von zusammenbrechenden Ökosystemen, zerstörerischen Asteroiden auf Kollisionskurs mit der Erde oder einem letzten, apokalyptischen Krieg der Zivilisationen. Die Möglichkeit, die Menschheit könnte sich auch noch einige weitere Jahrtausende irgendwie durchmogeln (die bei weitem wahrscheinlichste), sie könnte einige Katastrophen vermeiden und andere erleiden, am Ende aber weder dem Himmel noch der Hölle wesentlich näher sein als heute, entspricht unseren kulturellen Instinkten deutlich weniger. Unsere theologisch konditionierten Hirne denken lieber in Bildern wie Erlösung und Verdammnis, und damit auch Belohnung und Strafe, als mit der Erwartung einer Zukunft voller Zufälle und Zwänge, unvorhersehbar, sinnlos, ohne Ziel.

Mit leichter Erheiterung konnte ich feststellen, dass die Macher von ANNO 2070 in dasselbe Horn blasen:

Wir schreiben das Jahr 2070. Die befürchtete globale Katastrophe ist ausgeblieben. Klimatische Veränderungen, Umweltschäden und Rohstoffmangel haben die letzten Jahrzehnte geprägt. Unsere Welt hat sich verändert und befindet sich auch weiterhin im Wandel. Die Menschheit hat sich als anpassungsfähige Spezies bewiesen: Die Tatsache, dass der steigende Meeresspiegel die Küsten bedroht und der Klimawandel fruchtbares Land unfruchtbar werden ließ, zwang die Menschen dazu, in andere Regionen umzusiedeln, die früher als unbewohnbare Ödnis galten. Die schwindenden Rohstoffvorkommen konnten den Bedarf nicht mehr decken. Daher war man gezwungen, alternative Technologien zu entwickeln. Die Tiefsee wurde nutzbar gemacht, um verschiedene Industriezweige mit den notwendigen Materialien zu versorgen. Die Bedeutung von Landesgrenzen und traditionellem politischen Gedankengut ging im Laufe der Jahre rapide zurück und multinationale Konglomerate und globale Organisationen traten an ihre Stelle als Machthaber…