Kindermund

Dann fragten mich noch meine Schüler, wie ich die Ferien verbracht hätte. Ich schilderte ihnen ausführlich das zweiwöchige Wohnen in meiner Wohnung ohne Sport, Steuererklärung, Unterrichtsvorbereitung oder sonstige wichtige Tätigkeiten. Ein junger Erwachsener fasste es zusammen: „Da haben Sie mal richtig gechillt.“ Mir fiel auf, dass dieser Anglizismus eine sinnvolle Erweiterung der arbeitsgeilen deutschen Sprache ist. Faulenzen hat etwas anrüchiges wie Popeln. Erhohlung hört sich an wie Leibesertüchtigung oder Müttergenesungswerk. Muße hat was von Goethe und Hochsprache.

Kühe hinterm Bindfaden

Noch’n Nachtrag zu unserer bayrischen Urlaubsreise. Diese Gebirgsgegenden sind ja für den Ackerbau nicht so recht geeignet. Deshalb werden dort grasende Rinder und wandernde Touristen gehalten.

Schon der Elektrozaun ist lächerlich genug. So ein Riesenrindvieh müsste doch nur einen kurzen Schmerz überwinden und wäre „frei“. Doch selbst dieser Elektrozaun ist überflüssig. Ein blauer Bindfaden tut es auch.

Manchmal wollten wir über die dummen Tiere lachen. Aber dieses Lachen blieb uns im Halse stecken. Die Ähnlichkeit zu unserem eigenen Leben und den Zwängen, die wir uns einreden, war zu offensichtlich.

Kleine Frage

Watzlawick, Adorno, Focault u.a. dekonstruieren, zerfetzen, entlarven die Wahrheit als vom Betrachter, Kultur & Geschichte abhängig. Wie hängt diese Beschreibung der Welt von den Biografien, den Lebensumständen dieser Leute ab.

Mensch, Welt und Fernsehen

Georg Seeßlen wettert in konkret gegen die gebildeten Schlaumeier, die nicht verstehen können, warum so viele Leute auf ihrer Fernbedienung den Ausschaltknopf nicht finden können:

Wenn aber nun das Fernsehen (vielleicht im Verbund mit der »Bildzeitung« und Frau Suhrbier von nebenan) das einzige Fenster zur Welt ist, das man öffnen kann? Wenn die Betätigung des Ausschaltknopfs bedeutet, alle Welt zu verlieren? Dann ist Fernsehen eben etwas ganz anderes als die bloße Benutzung einer kulturellen Maschine, die Information, Unterhaltung und sogar Bildung ins Haus bringt. Es ist längst mit dem Leben selbst verwoben. Und der Hinweis des guten Menschen von Mitteleuropa auf den Ausschaltknopf nur zynisch und heuchlerisch. Denn die Menschen sehen so fern, wie sie leben, sie leben so, wie sie fernsehen, und beides, das Leben wie das Fernsehen, wird dort fabriziert, wo sie nicht hinreichen.

Max Frisch

Noch’n Nachtrag. Im Juli gab es Max Frisch’s „Biographie: Ein Spiel“ im Hühnermanhattan. Bleibt mir im Hirn. Passend für so einen mittleifkreisigen Mittvierziger. So ein Typ stirbt an Leberzirrhose und darf sein Leben noch mal neu Leben. Achtet dann auf seinen Alkoholkonsum und stirbt an Krebs. Hatte sich in seinem frühreren Leben nicht getraut, in die KP einzutreten. Holt das im zweiten Anlauf nach und wird damit auch nicht glücklicher… Pädagogisch sehr wertvoll für meinereiner.

Am Straßenrand

Beim Vorbeifahren mit den Augenwinkeln einen Spruch eingefangen: „Kindern geht es nur gut, wenn es Müttern gut geht.“ Hört sich doch ganz gut an. Na gut vielleicht noch Mutter durch Bezugsperson ersetzen, aber wir wollen nicht kleinlich sein.

Dann weiter unten: Starke Frauen – Starkes Land. Also nicht, dass es Müttern und Kindern einfach so gut gehen soll, sondern damit das Land stark wird.

Das hatte ich schon mal in einem südlichen Freistaat. Da stand was mit „Mehr Geld für Familien“ – und ich dachte: toll. Unten stand dann: Damit Bayern stark bleibt.

Pflichtgefühl

Noch so ein Zettelchen aus dem Alpinmuseum in Kempten. Ein alter Mann hat mit der Laubsäge ein riesiges Relief der Alpen erstellt. Aus seiner Biografie teilt das Museum nur mit, dass er aus einer Gegend stammt, in der die Alliierten die Deutschen für multikultiunfähig einstuften. Im Begleittext heißt es:

Wer alt geworden ist, braucht noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Denn wo Pflichten fehlen, kann eine selbst gestellte Aufgabe helfen. Sie hält den Geist wach und die Kräfte frisch.

Dieses Gedöns von Pflicht, Dienst und Treue passt genau zu meinem morgigen Schulanfang.