Das Buch in dem die Welt verschwand

von Wolfram Fleischhauer:

»Eine Magd war in einen Nagel getreten«, begann Nicolai. »Die Wunde war klein. Dennoch wurde sie eitrig, und ein böser Fluss setzte ein. Offenbar hatte der Schreck oder der Schmerz der Verwundung im Körper der Magd dazu geführt, dass ein Krampf eine Verhärtung von Schleim oder Blut bewirkte, das sich nun staute, stockte und faul wurde. Die Wunde war als
Ausgang zur Ableitung dieser Fäulnis zu klein. Ich gab also abführende Mittel und türkischen Rhabarber, um die Säfte in die Beine zu treiben. Außerdem schnitt ich die Wunde auf, um mehr Eiter auszulassen. Aber es half nichts. Der Fuß begann zu schwären. Die Öffnung war zu gering. Daher ließ ich mehrfach zur Ader, um ausreichend Fäulnis aus dem Körper ablassen zu können. Aber es war zu spät. Die Säfte stockten mehr und mehr, der Fuß wurde schwarz, und die Magd starb.«

Der Autor stellt auch an anderen Stellen das medizinische Weltbild des späten 18. Jh. nach. Ein festgefügtes Gebäude aus Begriffen und Grundannahmen aus denen allerlei Schlussfolgerungen und Therapievorschläge folgen. Dann gibt es Leute, die sind in diesem aus heutiger Sicht putzigen System fest verwurzelt, andere zweifeln, machen noch schrägere Vorschläge, wieder andere zweifeln und grübeln in eine Richtung, wie wir heute die Welt sehen.

Aber diese Therapiebeschreibungen bewegten mich aus ganz aktuellem Ansatz. Sie erinnern mich an die heutigen Versuche die Welt zu erklären – wieder mit festgefügten Begriffssystemen und Grundannahmen. Wir hantieren täglich mit hochkomplexen Konstrukten: der Staaat, die Psyche, das Gefühl, der Gedanke.  Wenn mit diesen schwammigen Begriffen ebenso sicher umgegangen wird, wie mit dem Fallgesetz oder der Kugelgestalt der Erde, dann bleibt dieses Denken vor der Aufklärung stehen, ersetzt Gott und faule Säfte durch einen Vulgärmaterialismus, der jegliche Zweifel und erkennbares Nichtwissen ausblendet.

Dresden

Ich war nicht dabei am Wochenende. Habe mich auch nicht bei den einschlägigen Untergrundmedien informiert, sondern bei mdr & Co.

  • mdr-info – Ausschnitte aus der Rede der Oberbürgermeisterin: Zehntausende Opfer, Phosphor, Tiefflieger.
  • 19:30 Nachrichten bei mdr: Ausführliche Berichte über die Menschenkette. Und Erwähnung von Links- und Rechtsextremen. Später wird der Linksextreme Konstantin Wecker gezeigt.
  • Tagesschau: Brennende Straßenblockaden

Ravi Shankar & Philip Glass

Als Philip Glas die Musik in von Ravi Shankar in europäische Notenschrift transkribierte, fiel ihm folgendes auf:

„Was ich da quasi als Offenbarung erkannte war die Verwendung des Rhythmus beim Entwickeln einer Gesamtstruktur in der Musik,“ schrieb Glass später. „Den Unterschied zwischen westlicher und indischer Musik würde ich folgendermaßen beschreiben: In der westlichen Musik unterteilen wir die Zeit, ungefähr so, als könnte man ein Stück Zeit nehmen und es wie einen Laib Brot aufschneiden. In der indischen Musik (wie in allen nicht-westlichen Musiktraditionen, die ich kenne) dagegen nimmt man kleine Einheiten, oder ‚beats‘, und verknüpft sie miteinander zu größeren Zeitwerten.“
gefunden auf: Philip Glass
Two Pages / Contrary Motion / Music in Fifths / Music in Similar Motion

Na, da fällt mir doch gleich wieder Bokelmann sein „Im Takt des Geldes“ ein.

Ich darf nölen

Brecht durfte das schließlich auch. In seinem Gedicht „Schlechte Zeit für Lyrik“ von 1939  heißt es:

Die grünen Boote und die lustigen Segel des Sundes
Sehe ich nicht. Von allem
Sehe ich nur der Fischer rissiges Garnnetz.
Warum rede ich nur davon
Daß die vierzigjährige Häuslerin gekrümmt geht?
Die Brüste der Mädchen
Sind warm wie ehedem.

Und was ist schon Brechts Exil und der drohende Krieg gegen meine Dauermidlaifkreisis und den drohenden Weltuntergang.

Der Herr Brecht ist übrigens echt schwer zu verlinken. VG-Wort & Co. scheinen genau aufzupassen, dass bis 2026 ja nicht zu viele Textschnippsel von ihm im Netz kursieren.

Noch 'n Verein

Solidarische Moderne – Crossover Institut.

SprecherInnen: Sven Giegold, Katja Kipping, Anke Martiny, Thomas Seibert und Andrea Ypsilanti. (Darf, wer kein Sprecher ist, nicht sprechen?)

Aus der Vorstellung: Eine von ungezügeltem Kapitalismus, grassierender Armut, massiver Umweltzerstörung und kriegerischer Gewalt geprägte Welt, eine auseinanderdriftende Gesellschaft und eine verkümmernde Demokratie verlangen nach Alternativen.

Also so ein Verein, dem es jetzt nach Alternativen gelüstet, da der Kapitalismus ungezügelt, die Armut grassierend, die Umweltzerstörung massiv und die Gewalt kriegerisch ist. Und ohne die Katastrophenattribute? Normale Gewalt, Armut und Umweltzerstörung verlangen wohl nicht nach Alternativen.