Das Ego nicht als Fiktion – sondern als Stufe der Bewusstseinsentwicklung.
Monat: April 2012
Man muss die Piraten nicht hassen
Herrliche Analyse in der ak571:
Die PiratInnen sind weniger ein politisches, als vielmehr ein soziales Phänomen: Sie fungieren als Interessenclub für das neue, erstarkende, bislang oft prekär entlohnte WLan-Bürgertum. Ihre Wahlerfolge bei der »kreativen Klasse« sind jedenfalls plausibel – und das Gegenteil einer Revolution.
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Es sind die BloggerInnen, TwitterInnen, Flickr-MeisterfotografInnen, DaWanda-KunsthandwerkerInnen, ProgrammiererInnen, OnlinehändlerInnen, -journalistInnen und -beraterInnen, das eBay-Kleingewerbe und das freigesetzte digitale Projektmanagement, die scheinselbstständigen Socialmediabeauftragten, die Stütze beziehenden RemixkomponistInnen und VideocutterInnen, FernstudentInnen und App-EntwicklerInnen, die die PiratInnen im Visier haben. Zwar leiden all diese Leute aktuell noch unter einem gewissen Prekariatstrauma, doch ahnen einige von ihnen sehr präzise, dass sie eines Tages zu den ganz großen GewinnerInnen der kommenden Zeit zählen könnten. Es ist, in Geist und Seele, dieselbe Klientel, die einst, in den 1980er Jahren, als die Automobilindustrie boomte, Kraftfahrzeugerlebnishäuser gegründet, zehn Jahre später Werbeagenturen und Marktforschungsbüros und weitere zehn Jahre später die ersten Coffee-to-go-Theken eröffnet hat, exakt die Schicht, die einen untrüglichen Riecher für Chancen hat und darauf aus ist, ihre Schäfchen alsbald ins Trockene zu bringen – was ein durch und durch legitimes Ziel in der freien Marktwirtschaft ist. Man muss sie dafür bestimmt nicht hassen.
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Unterdessen diskutieren, demonstrieren, protestieren weltweit gerade die Menschen, viele, überall. Und es sind nicht die Alten, die da auf die sprichwörtliche Straße gehen. Eine große Zahl von ihnen ist sogar jünger als das allerallerjüngste Mitglied der PiratInnen. Sie streiten um Gerechtigkeit und Fairness, sie nehmen ein fürchterlich altmodisches Wort wie »Umverteilung« in ihre Münder, sie wehren sich gegen eine Segregation der Städte und ein weiteres Auseinanderdriften der sogenannten sozialen Schere – es sind wirklich viele, und wirklich überall. Dem WLAN-Bürgertum fällt zu all dem wenig bis nichts ein. Es interessiert sich vor allem für das Zukunftspotenzial seines je individuellen 24-Zoll-Horizonts.
Das dritte Auge einfach mal schließen
Letztens hat jemand versucht, meine Chakren zum Leuchten zu bringen. Ich mache gerne und regelmäßig so Yogaverrenkungen und erfreue mich diffuser Wechselwirkungen zwischen Körper und Psyche. Aber den klassischen Interpretationen, was da passiert, stehe ich eher skeptisch gegenüber. So auch bei diesem Workshop. Mit Zuordnungen zwischen Farben, Sinnen und Körperregionen, den Chakren, kann ich wenig anfangen.
Aber an der Wand hing ein Plakat, das hat mich elektrisiert. Da waren also fünf Chakren im Körper verteilt und jedem war einer der fünf Sinne zugeordnet. Und am 6. Chakra, dem dritten Auge, stand schlicht und ergreifend – Denken. Das Symbol ist so eine zweiblättrige Blüte und an anderer Stelle stand noch was geschrieben von Quelle der Dualität.
Das ist ja mal eine schöne, demütige Vorstellung vom Denken als spezieller Sinneswahrnehmung. Ich nehme mit den Augen die Welt in bestimmter Weise wahr. Ich nehme die Welt mit den Ohren in bestimmter Weise wahr. Und die fünf Sinne arbeiten zusammen, ergänzen einander. Keiner käme auf die Idee, dass es möglich sei, mit den 5 Sinnen die ganze Welt zu erfassen, die Wahrheit zu erkennen. Ich höre mit geschlossenen Augen Musik. Mit offenen Augen schaue ich in stiller Nacht in die Sterne. Manchmal genieße ich auch vollkommene Stille und Finsternis.
Na und das Denken, das hat ein paar Zusammenhänge erkannt. Wann sich Vollmond wiederholt, wie Differentialgleichungen funktionieren und Antibiotika. Manchmal stellt es auch Vermutungen an, baut komplexeste Luftschlösser. Wer wohl den Müll im Keller neben die Tonne schmeißt, ob Friedhelm mich nicht leiden kann, wie ich morgen leben will. Dieses Denken gleichrangig neben Fühlen, Schmecken, Riechen, Hören und Sehen zu stellen, das ist ein genialer Einfall. In diesem Sinne übe ich gern, Denkpausen einzulegen und zu beobachten, was passiert, wenn das Denk-Karusell zum Stillstand kommt.
Aber das Denken zu Verdammen, es für Leiden alleinverantwortlich zu machen, das ist meine Sache (noch?) nicht.