Gott als Projektion

Idomeneo in Dresden. Neptun/Poseidon spielt mit. Aber Er wird als Viele dargestellt, so eine Wolke von Gestalten, die um den Betroffenen herumwuseln. Im Programmheft heißt es dazu in einem Gespräch mit dem Regisseur Michael Schulz und anderen:

Kann man im 21. Jahrhundert noch von Göttern erzählen, welche die Handlungsfäden in der Hand halten?

Michael Schulz: Wir zeigen die Götter nicht leibhaftig auf der Bühne. Wir werten sie als Ausdruck von unterbewusstem Handeln. Sie sind die Schuld, die Hoffnung oder die Ängste, die in jedem Menschen, vor allem in Extremsituationen, brodeln. Renée Listerdal: Sie sind eine Art Albdruck oder Albtraum, den man mit sich herumträgt und der sich immer wieder Bahn bricht. Das zeigen wir durch den Einsatz zahlreicher »Neptune« auf der Bühne.

Michael Schulz: Dabei sind die »Neptune« genauso uneindeutig wie die Götter selbst – das finde ich wichtig. Die Gottwesen, wie sie vom Menschen angesprochen werden, haben ja alle keine Eindeutigkeit. Jeder benutzt sie für etwas anderes. Deshalb haben wir die Gottheit auf mehrere Personen aufgeteilt, die immer auf der Szene mitagieren. Sie sind nur für Idomeneo sichtbar, sie befinden sich in seinem Unterbewusstsein.

Erscheint mir ganz schlüssig. Gott als Projektion des Unbewussten, als Teil des Freudschen Über-Ich. Das Gebet als Autosuggestion.

Träumen vom Kommunismus

Ein altes Wendebuch von 1993: Was von den Träumen blieb. Heiner Müller grollt ins Vorwort:

Ein Kadaver kann dem Obduktionsbefund nicht widersprechen. Der historische Blick auf die DDR ist von einer moralischen Sichtblende verstellt, die gebraucht wird, um Lücken der eignen »moralischen Totalität« zu schließen. Die Funktion der Medien in diesem Verdrängungsprozeß bestimmt sich aus dem Systemzwang, die Probleme der Zentren an die Peripherie zu delegieren …

Auf den toten Gegner kann man jedes Feindbild projizieren, das vom Blick in den Spiegel abhält.

Zum Titel: Menschen, denen das Träumen verwehrt wird, haben keine andere Heimat als den Wahnsinn. Die Schreckensfrage des nächsten Jahrhunderts lautet: Was spricht gegen ihn? Von der zu findenden Antwort auf diese Frage hängt das Überleben der Menschheit ab. Ich bin nicht mehr sicher, dass der Kommunismus, wie mein Vater mir Achtjährigem aus dem Buch eines indischen Philosophen vorlas, das Schicksal der Menschheit ist, aber er bleibt ein Menschheitstraum, an dessen Erfüllung eine Generation nach der anderen arbeiten wird bis zum Untergang unserer Welt.